***** Leseprobe *****
Tödliche Begierden
Es klingelte.
Ich hatte beide Hände voll Mehl. Mit dem Handrücken strich ich mir eine blonde Strähne aus dem Gesicht,
hinterließ dabei eine puderige, weiße Spur auf meiner Stirn. Meine kleine Tochter Amelie wurde von dem Klingeln aus dem Schlaf gerissen und verzog das Gesichtchen zu einem unzufriedenen Weinen. Was jetzt? Das Baby beruhigen oder die Tür aufmachen? Wer mochte das überhaupt sein? Ich erwartete keinen Besuch.
Ich lauschte Richtung Tür, da klingelte es erneut. Amelie fühlte sich jetzt genug gestört, um in ihrem Stubenwagen lauthals loszuplärren. Ergeben wischte ich mir die Hände an einem Küchen-tuch sauber, hob mein Baby aus dem Bettchen und legte es mir beruhigend tätschelnd über die Schulter, während ich zur Tür ging. Draußen stand eine mir völlig fremde Frau. Sie war groß und schlank, sehr gut gekleidet, mit perfektem Make-up und wie frisch vom Frisör. Sie sah aus wie aus einer Reklame. Eine Vertreterin vielleicht? Oder eine Zeugin Jehowas? Ich war sicher, dass ich ihr noch nie zuvor begegnet war, und dennoch löste ihr Anblick ein unangenehmes Gefühl in mir aus. Eine Art Vorahnung?
Als sie mich kommen hörte, richtete sie sich zu ihrer vollen, impo-santen Größe auf. Sie lächelte. Ich kam mir klein und unscheinbar neben ihr vor. Meine Bluse war fleckig, genauso wie die Küchen-schürze, die obendrein noch ein Loch hatte. Meine Jeans war etli-che Jahre alt, stammte aus einer Zeit vor Amelie, als ich noch einige Kilos leichter gewesen war, und spannte jetzt um die Hüfte. Mein Haar war wirr und Make-up hatte ich seit Wochen keines mehr benutzt. Die Fremde musterte mich, aber nicht abschätzig, eher neugierig.
„Paula?“, fragte sie.
Ich runzelte die Stirn. Woher kannte die Fremde meinen Namen? Und wieso sprach sie mich vertraulich mit dem Vornamen an, wo wir uns doch noch nie begegnet waren? Oder etwa doch? Ich suchte in ihrem Gesicht nach etwas Bekanntem. Sie interpretierte mein Zögern offenbar als Unverständnis. „Sie sind doch Paula, nicht?“
Ich nickte. Fragte mich, ob ich meinen Gast hereinbitten sollte.
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie so überfalle. Aber es gibt etwas, worüber wir reden sollten.“
Da war es wieder. Dieses unangenehme, unterschwellige Gefühl einer Ahnung. In meinem Bauch krampfte sich etwas zusammen – einen Moment nur, einen Wimpernschlag lang, aber unleugbar.
„Ich bin Jacqueline“, sagte die Fremde. So als müsste das bei mir eine Erkenntnis anknipsen, Verstehen auslösen. Sie sagte es nicht im Tonfall einer Vorstellung. Die Worte klangen, als würde sie sa-gen: Ich bin die Queen, der Papst oder Angela Merkel. Und als müsste ich jetzt reagieren mit: „Ach soooo … ja klar!“ Aber es war gar nichts klar.
„Können wir reden?“, fragte Jacqueline weiter. Ich nickte und gab den Weg in den Flur frei.
Jacqueline ging mit selbstbewusstem Schritt voran. Ich folgte ihr mit Amelie auf dem Arm, stand dann unschlüssig in der Tür zum Wohnzimmer.
„Möchte Sie etwas trinken?“, fragte ich und erinnerte mich gerade noch rechtzeitig an die grundlegenden Maßgaben guter Erziehung.
„Wasser vielleicht?“, antwortete Jacqueline mit einer Gegenfrage.
Ich ging in die Küche, wo mein Kuchenteig unfertig auf der Küchen-ablage lag. Es war der Tag vor Bernds Geburtstag, ich wollte einen Geburtstagskuchen für meinen Mann backen. Stattdessen legte ich Amelie zurück in den Stubenwagen, holte zwei Gläser aus dem Schrank und griff nach einer Flasche Mineralwasser. Damit kehrte ich zu Jacqueline ins Wohnzimmer zurück.
„Also, worüber möchten Sie mit mir sprechen?“ Ich wollte dieses Gespräch hinter mich bringen. Was immer es sein mochte, sie sollte es sagen und dann wieder gehen. Ich hatte schließlich noch zu tun. Ich schob Amelie im Stubenwagen Richtung Terrassentür, denn irgendetwas sagte mir, dass das nichts für Kleinkinderohren war. „Schlaf weiter, mein Schatz. Mama muss das hier erledigen“, flüs-terte ich ihr zu.
Jacqueline griff inzwischen nach dem Glas, das ich ihr angeboten hatte, und schenkte sich von dem Wasser ein. Es sprudelte und die aufsteigende Kohlensäure verursachte einige Tropfen auf dem Couchtisch. Jacqueline und ich starrten auf die Wasserspritzer. Das unangenehme Gefühl wurde intensiver und füllte mich vollständig aus. Mein Herz klopfte mir im Hals. Jacqueline hob den Kopf und sah mir unverwandt in die Augen.
„Ihr Mann betrügt sie“, sagte sie. Sonst nichts. Einfach nur: Ihr Mann betrügt sie. Eine Feststellung, keine Wertung. Sie legte mir keine Beweise vor und begründete ihre Aussage mit nichts. Aber das war auch nicht nötig. Ich wusste es. Ich wusste, dass es stimm-te. In dem Moment, in dem sie es aussprach, fiel bei mir der Gro-schen. Und ohne dass sie es sagte, wusste ich auch, woher sie es wusste: Sie war es, mit der er mich betrog.
***** Fortsetzung folgt *****
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Barbara (Montag, 14 Dezember 2015 15:56)
Sehr toll!!! Bin jetzt schon gespannt, wie es weitergeht... verspricht super spannend zu werden...